2016. Meine Geschichte Grünau.

ISBN: 9783745000924

Auftakt zur Reihe "Geschichten aus Grünau"

40 Seiten zum 40sten des Stadtteils Leipzig Grünau 2016

1. Auflage total vergriffen / 2. Auflage ab März 2018 erhältlich 









Linenbus oder Linienboot ? Damals hat uns das nix ausgemacht ...
Foto Familie Kayser. 









Unser erster Trabant ... nicht gerade himmelblau, aber toll. 
Familie Kayser. 

Mit Voll-Bad in die neue Wohnung
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Gudrun Ebert
Ich wohnte im Leipziger Osten, einem traditionellen Arbeiterviertel in Leipzig. Vor den Küchenfenstern zu den alten, mit Schuppen und allerlei Gewerberäumen verbauten Innenhöfen waren Gestelle zum Wäschetrocknen angebracht. Auf diese Art und Weise trocknete auch ich die Windeln meiner beiden kleinen Kinder. Bis irgendwann ein Stück Verzierung von der Hauswand abfiel und mein Wäschegestell mit nach unten nahm. Das Haus war Ende des 19. Jahrhunderts gebaut worden und ich glaube, so richtig hat sich dann niemand wieder gekümmert. Vor den Fenstern waren einfache Holzrahmen mit einer Scheibe drin. Es war kalt, die Fenster schlossen nicht richtig und im Winter bedeckte die Scheibe eine dicke Eisschicht. Als ich neue Fenster beantragt hatte, meinte der begutachtende Fachmann nur: „Und wie soll ich die denn in die Wand bekommen? Man  braucht nur scharf zu gucken, dann fällt alles raus.“ In einer sandigen, schwammigen Ecke hatte ich die Tapete mit Zimmermannsnägeln nur „angeheftet“. Kleben konnte dort keiner. Trotzdem habe ich versucht, es gemütlich zu haben. Was war ich stolz, als meine neue Küche aufgebaut wurde. Hellblau war die. Es gab allerdings auch nur die eine ... Eines Nachts hörte ich einen dumpfen, lauten Rums. Ich weiß nicht, ob Frauen da hellhöriger sind oder ob Männer sich besser auf die nächtliche Aufgabe konzentrieren können, nämlich schlafen. Ich musste ein ganzes Weilchen am Gatten herumzerren, bis der nachschauen ging, was sich tat in unserer Wohnung. Schließlich kam er zurück, stieg ins Bett und zog die Decke um sich. „Und? Was war denn nun?“ „Das willst du jetzt gar nicht wissen und ändern kann nachts auch keiner was“, murmelte er schlaftrunken. Und wie ich das wissen wollte! Barfuß stürmte ich in die Küche. Ein Teil der Küchendecke war heruntergefallen und lag auf meiner neuen Küche, natürlich nicht ohne ordentliche Kratzer verursacht zu haben. Man kann die Decke nicht wieder „aufmauern“, sagte man mir später. Der Rest der Decke käme sonst auch noch herunter. Wie man früher baute konnte ich erkunden, als ich beim Aufwaschen in der Küche plötzlich durch die Dielen brach und einen halben Meter tiefer stand. Jetzt wusste ich auch, warum man auf meine Frage, ob ich in der Küche eine Wanne haben darf, nur die Hände über dem Kopf zusammen schlug. Die Wohnung belastete mich immer stärker. Noch nie hatte ich so viel geheult wie in dieser Wohnung. Baupolizeilich wurde das Haus als unbewohnbar eingeschätzt, aber einfach umziehen ging nicht. Es gab keine Wohnung für mich. „Sie denken wohl, weil Sie gut reden können, bekommen Sie jetzt schneller eine Wohnung?“ ranzte mich die Dame in der Wohnungsverwaltung an. Eines Tages fragte mich mein Chef und Prof. fast nebenher auf dem Gang der Hochschule: „Sag mal, willst du eine Neubauwohnung?“ Ich spürte, wie Ärger in mir hoch kroch. „Nein, nein! Ich meine es ernst. Wir haben vier Wohnungen in Aussicht.“  Vier Jahre dauerte es sonst, bevor man den Schlüssel bekam. Es mussten Genossenschaftsanteile erworben werden. In Raten, denn mein Gehalt als Lehrer an einer Hochschule war mager. Auch musste jeder Stunden auf dem Bau leisten, die sogenannten Aufbaustunden. Man hatte sich mit dem Bau beeilt. Nach zwei Jahren bekam ich einen Brief, dass ich mich mit Putzzeug zur Grobreinigung in meiner neuen Wohnung einfinden sollte. Im Nachbarhaus hievte der Baukran gerade Platten nach oben. In der neuen Wohnung starrten mich nackte Betonwände an. Die Frühlingssonne schien durch die mit Baudreck verklebten Fenster. Ich aber kam mir vor, als hätte man mir soeben einen schmucken Palast geschenkt. Ich habe mich erst einmal auf meinen Eimer gesetzt und einfach nur den Gedanken genossen: ICH HABE EINE NEUE, WARME, TROCKENE, HELLE WOHNUNG! Nein, ich musste jetzt nicht mehr mit dem Windeltopf warmes Wasser bereithalten. Ich konnte im neuen Bad einfach den Wasserhahn aufdrehen. Warmes Wasser … Eine Wanne … Was soll’s? Putzen kann ich auch noch andermal. Schnell schlüpfte ich aus den Kleidern, ließ Wasser in die Wanne und ließ mich hineingleiten. – Hach! Herrlich! Es klopfte plötzlich energisch an die Wohnungstür oder besser an meine Notlösung. Die Tür lehnte ursprünglich im Flur an der Wand. Bevor ich meine Badeorgie begann, hatte ich sie vor den Eingang gewuchtet. „Hallo?“ Eine Männerstimme dröhnte durch meinen Flur. „Hier ist Ihr Bauleiter. In einer Viertelstunde schließe ich die Haustür unten wieder ab. Sie müssen sich beeilen.“ „Ich bin aber noch in der Wanne“, entgegnete ich etwas kleinlaut.  „Meine Güte! Da soll mal grob geputzt werden und was passiert? Die liegen in der Wanne!“ Ich hatte nicht mal ein Handtuch mit. Hastig stieg ich in meine Sachen. Eingeschlossen werden wollte ich nicht. Der Bauleiter hatte bei aller Grummelei meine Wohnungstüre in die Angeln gehängt. „Ich komme bald wieder“, flüsterte ich noch und flitzte mit Eimer und Schrubber die Treppe hinab. Vor dem Haus traf ich auf die anderen zukünftigen Hausbewohner. Eine junge Frau neben mir grinste mich an. „Du warst auch in der Wanne?“ Wir waren beide nass und verstrubbelt. Das ist jetzt 32 Jahre her, aber unser Lachen habe ich nie wieder vergessen.